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Trauma, Gedächtnis & Heilung: Wie Erinnerungen unser Erleben formen

Aktualisiert: 23. Sept.

Wenn wir mit Trauma arbeiten, geht es oft um die Frage: Warum reagiert mein Körper immer noch so, obwohl ich weiß, dass es vorbei ist? Die Antwort liegt darin, wie unser Gehirn Erinnerungen speichert und wieder abruft. Dieser Artikel erklärt dir die Grundlagen, damit du dein eigenes Erleben besser verstehen kannst.


Implizites und explizites Gedächtnis

Unser explizites Gedächtnis speichert Fakten und persönliche Geschichten. Wenn du dich zum Beispiel an einen Urlaub erinnerst oder daran, was du gestern gegessen hast, ist das explizit.

Das implizite Gedächtnis speichert Körpererinnerungen, Gefühle und auch Verhaltensmuster. Es ist nicht bewusst steuerbar, läuft unbewusst ab, hat keinen Zeitstempel – und wirkt sehr stark. Vor allem in Stressmomenten, wenn wir einen Trigger erleben, übernimmt es die Kontrolle.


👉 Darum passiert es, dass du sagst: „Ich weiß, die Situation ist vorbei.“ Aber dein Körper reagiert, als ob er in einer Notsituation wäre.

👉 Das liegt daran, dass das implizite Gedächtnis evolutionsbiologisch Vorrang hat. Es ist wie ein Frühwarnsystem: schneller, automatischer und körpernah. Sobald dein Gehirn auch nur einen Hinweis auf Gefahr wahrnimmt, schaltet es sofort auf Schutzmodus – Herzschlag, Anspannung, Fluchtimpulse.


Dein explizites Gedächtnis braucht dagegen Zeit, um logisch einzuordnen: „Das ist vorbei, ich bin sicher.“ Doch in diesen Sekundenbruchteilen hat das implizite System schon reagiert und es fühlt sich oft wie eine überwältigende Welle von Emotionen an. Das ist ein Versuch deines Nervensystem, den Rest des Traumas, das es noch nicht vollständig verarbeiten konnte, zu lösen.


Dabei fühlen wir uns oft überfordert und dann schaltet das System oft einfach ab: wir gehen in Dissoziation, flüchten innerlich oder lenken uns äußerlich ab. Mit diesen Schutzstrategien, versucht dein Nervensystem kurzfristig wieder Balance herzustellen.


Trauma und der Hippocampus

Bei extremem Stress fluten Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin das Gehirn. Unser „Zeitordner“ – der Hippocampus – wird geschwächt. Das bedeutet: Erinnerungen landen nicht mehr sauber geordnet, sondern oft in Bruchstücken. Bilder, Gefühle und Körperreaktionen tauchen unverbunden auf.


👉 Deshalb können Lücken entstehen oder Flashbacks. Wenn traumatische Erinnerungen hochkommen, ist das kein persönliches Versagen, sondern ein Schutzmechanismus deines Gehirns.


Wie Erinnerungen verändert werden können

Neue Erlebnisse werden normalerweise ins Langzeitgedächtnis eingebaut, vor allem im Schlaf. Wenn eine Erinnerung erneut aktiviert wird, öffnet sich für kurze Zeit ein Fenster, in dem sie veränderbar ist. Neue Gefühle und Bedeutungen können dazukommen – das nennt man Rekonsolidierung.

👉 Im therapeutischen Setting nutzen wir genau diesen Moment: In einem sicheren Rahmen wird eine alte Erinnerung spürbar – und gleichzeitig entsteht eine neue, korrigierende Erfahrung. So kann Heilung möglich werden.


Warum Gefühle stärker wirken als Gedanken

Unser emotionales Gedächtnis prägt Wahrnehmung und Körperreaktionen. Auch wenn dein Kopf weiß: „Ich bin sicher“, schlägt die Amygdala trotzdem Alarm.

👉 Darum reicht es nicht, sich gut zuzureden. Heilung braucht Erfahrungen, die auch dein emotionales System erreichen – über den Körper, über Gefühle, über Beziehung.


Vier Schritte, damit Veränderung gelingt

Damit eine alte Erinnerung sich wirklich überschreiben kann, braucht es vier Bedingungen (nach Ecker, Ticic & Hulley):


  1. Reaktivierung – die belastende Erinnerung wird spürbar.

  2. Neue Erfahrung – etwas Gegenteiliges oder Korrigierendes geschieht.

  3. Gleichzeitigkeit – beide Erfahrungen sind gleichzeitig bewusst und im Körper spürbar.

  4. Integration – Zeit, Ruhe und Begleitung, damit sich das Neue wirklich festsetzen kann.

👉 Nur wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kann eine tiefe Prägung dauerhaft verändert werden.


Fazit

Trauma lebt im Körper und im impliziten Gedächtnis. Darum reicht es nicht, nur auf der kognitiven Ebene zu verstehen, dass es vorbei ist. Heilung geschieht, wenn du neue, sichere Erfahrungen machen kannst, die dein Nervensystem auch wirklich auf einer körperlichen Ebene erreichen.


Was mir wichtig ist

Dass Du weißt, dass deine Reaktionen keine Schwäche sind, auch wenn sie dich im Alltag manchmal behindern – sie zeigen dir, dass dein Nervensystem versucht, dich zu schützen.


Heilung beginnt dort, wo du neue Erfahrungen von Sicherheit machst. Genau dafür kannst du dir Unterstützung holen – damit dein Körper wirklich spürt: Es ist vorbei.


ree


„Eine emotionale Überflutung oder ein Gefühl der Überforderung sind der Versuch des Gehirns, das Nervensystem zurückzusetzen, damit es wieder zur Ruhe kommen kann.“ 

Lisa Feldman Barrett

 
 
 

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