Wir sitzen zu oft mit Gefühlen...
- kollkowski
- 27. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Vom Fühlen zum Ausdruck
In vielen spirituellen und therapeutischen Kontexten hört man den Ratschlag: „Sitze mit deinen Gefühlen. Beobachte die Empfindungen im Körper, ohne die Geschichte dazu.“

Dieser Hinweis kann wertvoll sein, weil wir dadurch lernen, nicht sofort in Gedanken oder Dramen zu versinken. Stattdessen richten wir die Aufmerksamkeit auf das, was tatsächlich spürbar ist: Enge im Brustkorb, Hitze im Gesicht, Druck im Bauch.
Doch in der trauma-therapeutischen Arbeit zeigt sich: Das reine Beobachten reicht meistens nicht aus. Viele Empfindungen sind nicht nur körperliche Reaktionen – sie sind gekoppelt an unterdrückte Impulse.
In Momenten von Überforderung, Schmerz oder Verrat konnten wir oft nicht so reagieren, wie es unserem Organismus entsprochen hätte. Vielleicht wollten wir „Nein!“ sagen, uns wehren, fliehen oder unsere Wut zeigen – aber es war nicht möglich. Diese Impulse sind eingefroren und machen sich heute als Spannung, Symptom oder wiederkehrende Emotion bemerkbar.
Wenn wir uns dann nur still neben diese Empfindungen setzen, fehlt oft ein entscheidender Schritt: das Anerkennen und Ausdrücken dessen, was damals NICHT ausgedrückt werden konnte.
Vom Fühlen zum Ausdruck
Ein möglicher Weg sieht so aus:
Wahrnehmen – Zuerst die Empfindungen im Körper spüren, ohne sofort eine Geschichte darüber zu machen.
Erkennen – Fragen: „Was konnte ich damals nicht tun oder sagen?" Oft taucht ein Impuls auf – eine Bewegung, ein Satz, eine Geste.
Warum wurde es unterdrückt ? - Wovor hatte oder habe ich Angst?
(Verlassen oder Angegriffen zu werden? Manipuliert oder Ignoriert zu werden?)
Erlauben – In einem sicheren Rahmen diesem Impuls nachträglich Raum geben: eine Handbewegung, ein klares „Nein.“ oder "Ich will das nicht!"
Integration – Spüren, wie der Körper reagiert, wenn der unterdrückte Ausdruck endlich seinen Platz findet. Häufig entsteht Erleichterung, Weite oder ein Gefühl von mehr Ruhe oder Lebendigkeit.
Praktische Übung: Ein Gefühl für 30 Sekunden halten und ausdrücken
Damit das nicht nur Theorie bleibt, hier eine einfache Übung, die du auch selbst ausprobieren kannst:
Rahmen setzen Sage dir: „Das, was ich jetzt gerade fühle, darf 30 Sekunden hier sein.“ So weißt du, dass es einen klaren Anfang und ein klares Ende gibt.
Wahrnehmen Spüre, was an Empfindungen im Körper auftaucht – oder was für Empfindungen im Körper zu spüren sind. Frage dich: „Wie fühlt sich das genau an?“ Achte auf Druck, Wärme, Enge, Zittern oder andere Signale.
Benennen Sage dir innerlich oder laut:„So fühlt sich Trauer an.“
„ So fühlt sich Wut an.“ oder „So fühlt sich Verzweiflung an.“
Damit verbindest du die Körperempfindungen mit deinem Verstand und stärkst deine Fähigkeit, Gefühle klar einzuordnen.
Fragen stellen Erkunde dann: „Was blieb ungesagt? Wovor hatte es Angst? Was möchte noch ausgedrückt werden?“Vielleicht kommt ein Satz wie „Geh weg!“ oder „Ich will das nicht!“. Erlaube deinem Körper, das nachdrücklich zu zeigen – in einer Bewegung, einem Ton oder klar ausgesprochenen Worten.
Da sein lassen Bleibe die 30 Sekunden bei diesem Gefühl. Beobachte es, ohne es wegzuschieben oder zu verstärken.
Beenden und Erlauben Nach den 30 Sekunden sage dir bewusst: „Jetzt darf dieses Gefühl wieder gehen.“Du darfst es innerlich wegschieben, wenn es genug ist. Das gibt deinem Nervensystem die Erfahrung: Ich habe Kontrolle darüber.
Nachspüren Atme tief ein und aus und spüre nach: „Was hat sich verändert? Wie fühlt sich mein Körper jetzt an?“
Diese kleine Übung vermittelt Sicherheit und zeigt, dass Gefühle kommen und gehen dürfen. Sie stärkt deine Selbstwirksamkeit und macht es leichter, später auch unterdrückte Impulse bewusst zuzulassen und auszudrücken.
Warum das wichtig ist
Das Nervensystem braucht nicht nur das stille Dabeisein, sondern manchmal auch die vollendete Handlung. Erst wenn der ursprüngliche Ausdruck nachgeholt wird, kann sich die gebundene Energie lösen. So kommen wir vom bloßen Aushalten hin zu einem tieferen Verarbeiten und Integrieren.
Fazit
Sitzen mit den Empfindungen ist ein wertvoller Schritt – aber nicht das Ziel. Wirkliche Heilung geschieht, wenn wir die unterdrückten Impulse zu erkennen und uns trauen, ihnen Ausdruck zu verleihen. Erst dann verwandeln sich alte Muster in neue authentische Lebendigkeit.
Genau hier liegt für mich ein zentraler Ansatz in der Begleitung: Menschen zu unterstützen, ihre Stimme, ihre Bewegung und ihren authentischen Ausdruck wiederzufinden.







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