Heilung beginnt in Dir - oder doch nicht?
- kollkowski
- 22. Mai
- 3 Min. Lesezeit

„Heilung beginnt in dir“ – oder doch nicht?
Ein kritischer Blick auf Selbsthilfe-Slogans und was Heilung wirklich braucht
Im Netz kursieren viele Listen und Zitate, die auf den ersten Blick inspirierend wirken. Kürzlich stieß ich wieder auf eine dieser Aufzählungen:
Verlassenheitswunden heilen, wenn du dich selbst nicht mehr verlässt.
Die Angst vor Zurückweisung heilt, wenn du deine eigene Wahrheit anerkennst.
Wut heilt durch Vergebung.
Schuld heilt durch Selbstvergebung.
People Pleasing heilt, wenn du lernst, dich selbst zu nähren.
Vermeidung heilt, wenn du dich deiner inneren Stimme zuwendest.
Der innere Kritiker heilt, wenn du aufhörst, hart mit dir zu sein.
Die Angst, gesehen zu werden, heilt, wenn du erkennst, dass es sicherer ist, dich ganz zu zeigen.
Bindungsthemen heilen, wenn du erkennst, dass alles in dir liegt.
Diese Aussagen mögen auf den ersten Blick kraftvoll erscheinen – und ja, sie tragen eine Wahrheit in sich. Aber aus einer traumasensiblen Perspektive wirken sie oft wie gut gemeinte Verhaltenstipps, die das Nervensystem übergehen.
Denn: Wenn eine Verlassenheitswunde getriggert wird, nützt es wenig, sich selbst zu versprechen, sich nicht mehr zu verlassen. Das Nervensystem reagiert nicht auf logische Absichten. Es reagiert auf alte Erfahrungen, gespeicherte Angst und implizite Bedrohung.
Verlassenwerden – emotional oder real – ist für viele kein abstraktes Thema, sondern eine existenzielle Bedrohung.
Ähnlich verhält es sich mit der Angst, gesehen zu werden. Sie heilt nicht, weil man „erkennt, dass es sicher ist“. Sie beginnt zu heilen, wenn man spüren darf, dass sie da sein darf. Dass sie Sinn ergibt. Dass sie schützt. Und dass dieser Schutz nicht beschämt oder übergangen werden muss.
Denn was viele dieser Aussagen übergehen, ist die Tiefe, aus der Angst, Wut, Schuld und Kontrolle oft entstehen. Sie wurzeln nicht in Schwäche, sondern in alten Schutzmechanismen. In Erfahrungen, in denen es keine Sicherheit gab, gesehen, gehalten oder respektiert zu werden.
Die „innere Wahrheit“, die wir manchmal glauben zu leben, kann auch eine Überlebensstruktur sein – entstanden aus Ohnmacht, nicht aus Freiheit.
Der innere Kritiker ist oft keine Wahrheit, sondern eine internalisierte Stimme. Ein Echo früherer Beschämung. Und dieses Echo wiederholt sich, solange es nicht liebevoll bezeugt wird.
Aus körpertherapeutischer und traumainformierter Sicht beginnt Heilung nicht mit einem neuen Glaubenssatz. Sondern mit Erlaubnis.
Erlaubnis, dass Angst da sein darf.
Dass Rückzug Sinn ergibt.
Dass Wut nicht böse ist.
Dass die Sehnsucht nach Nähe und die Panik vor Verschmelzung gleichzeitig existieren dürfen.
Erst wenn wir die schützenden Schichten mit Mitgefühl betrachten, kann sich darunter eine echte innere Wahrheit zeigen – keine Reaktion, sondern ein lebendiges Spüren von: Was brauche ich wirklich, jetzt, in diesem Moment?
Vielleicht sieht Heilung weniger aus wie ein Plan – und mehr wie ein Lauschen.
Lauschen auf das Nervensystem.
Auf die Gefühle, die nie da sein durften.
Auf das Kind, das früher lernen musste, stark zu sein, angepasst, still.
Und dann – ganz langsam – darf sich ein neuer Raum öffnen. Einer, in dem du nicht funktionierst, sondern fühlst.
Nicht überlebst, sondern lebendig wirst.
Nicht heilen musst, sondern mit dir in Beziehung gehst.
Wenn du das Gefühl hast, mit all dem nicht allein sein zu wollen, sondern dir einen geschützten, empathischen Raum wünschst, in dem du nichts musst, aber alles da sein darf – dann lade ich dich herzlich ein, in meiner Praxis Kontakt aufzunehmen. Hier darf dein Tempo gelten. Dein Körper, dein Schmerz, deine Kraft. Alles darf mitgebracht werden.
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