Unsere Suche nach Sicherheit
- kollkowski
- 17. Juni
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 26. Juni
Trauma und die Illusion von Wahlfreiheit:
Eine trauma-informierte Antwort
Viktor Frankls Einsichten in die menschliche Fähigkeit, selbst im Leiden Sinn zu finden, sind tiefgreifend. In seinem bekannten Werk …Trotzdem Ja zum Leben sagen (Man’s Search for Meaning) beschreibt er, wie die Suche nach Bedeutung selbst unter den extremsten Bedingungen zur inneren Kraftquelle werden kann.
Doch wenn wir über „Wahl“ im Kontext von Leid sprechen, lädt eine trauma-informierte Perspektive zu deutlich mehr Differenzierung ein: Vieles von dem, was wir als „Entscheidung“ erleben, wird nicht vom bewussten Verstand getroffen – sondern von einem Nervensystem, das gelernt hat, sich im Wahrnehmen von Bedrohung zurückzuziehen, anzupassen oder vertraute Muster zu wiederholen, egal wie schmerzhaft sie sind.
In der trauma-informierten Therapie wird Leid nicht als moralisches Versagen oder Ausdruck von Willensschwäche gesehen. Vielmehr verstehen wir es als Schutzmechanismus – als erlernte Strategie von Körper und Psyche, um uns vor dem zu bewahren, was einst unerträglich oder zu viel war: Wut ohne Zeugin, Angst ohne Zuflucht, Trauer ohne Arme, die sie hielten; Verletzungen ohne Wiedergutmachung, wiederholter Beziehungsabbruch ohne sicheren Halt.
Wenn Frankl von Überlebenden berichtet, die nach der Befreiung selbst zu Tätern wurden, deutet er dies auch als Scheitern des Charakters. Aus trauma-therapeutischer Sicht erkennen wir darin den späten Ausbruch jahrelang unterdrückten Schmerzes – ein Nervensystem, das ohne Halt und Begleitung überfordert ist. Bitterkeit, emotionale Erstarrung, Kontrollzwang oder Rückzug sind keine Charakterschwächen. Sie sind Ausdruck von unverarbeitetem Trauma.
Oft halten wir unbewusst am Leiden fest – nicht weil wir es wollen, sondern weil die darunter liegenden Gefühle wie Scham, Angst oder hilflose Wut zu bedrohlich erscheinen, um sie allein zu fühlen. Unser Nervensystem – ebenso wie unsere Seele – braucht bestimmte Bedingungen, um heilen zu können: Sicherheit, Mitgefühl und Erlaubnis.
Fehlt das, führt „eine neue Haltung wählen“, wie Frankl es beschreibt, nicht unbedingt zu innerer Freiheit, sondern kann zu einer Form der Dissoziation führen, die als Tugend getarnt ist – und in der Gefühle wie Wut und Hilflosigkeit keinen Ausdruck finden dürfen.
Aber wahre Heilung geschieht nicht durch Ablehnung der Wunde, sondern durch die langsame Hinwendung zu dem, was wir einst aus gutem Grund ins innere Exil geschickt haben. Nicht jeder, der leidet, entzieht sich der Verantwortung. Manche warten immer noch auf das erste innere Gefühl von Sicherheit, um überhaupt heilen zu können.
Lasst uns Raum schaffen – für Sinnsuche, ja, denn das menschliche Gehirn lebt davon, Bedeutung zu finden. Lasst uns sichere Bindung schaffen – für das Nervensystem.
Lasst uns Schutz geben – für die Seele. Damit der Körper eines Tages bereit ist, Veränderung zuzulassen.

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